Sonntag, 4. März 2012

Umgang mit Ambivalenzen im Schulalltag

Goethe sprach einst in seinem FAUST:
 
"Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust, 
Die eine will sich von der andern trennen: 
Die eine hält, in derber Liebeslust, 
Sich an die Welt mit klammernden Organen; 
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust 
Zu den Gefilden hoher Ahnen."

Damit geht Goethe auf die innere Zerrissenheit seines Protagonisten ein. Konflikte, "andere" Meinungen, "andere" Argumente lösen in uns auch im Unterrichtsalltag Zerrissenheit aus und erfordern von den Lehrkräften schnelle Entscheidungen in Echtzeit. Damit wird zugleich impliziert, dass die Lehrkraft als oberste Autoritätsperson in der Klasse auch jegliche Fragen und Musterlösungen im Sekundentakt zur Verfügung hat. Die Realität in unserem alltäglichen Leben sieht manchmal doch anders aus und wir müssen mit Konflikten, Meinungen und Argumenten in sehr differenzierter Weise umgehen.

 



Gegenpositionen beleben jedoch unseren Alltag und machen das Leben zwar einerseits komplexer, doch leisten sie andererseits einen Beitrag für Facettenreichtum. Es ist die Vielfalt, welche unser Leben bereichert und welche Beleg dafür ist, dass nichts absolut ist. Die Vielfalt im Unterrichtsalltag konfrontiert die Lehrperson mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Relationen. Gegenpositionen erfordern eine konstruktive konflikthafte Auseinandersetzung mit Ambivalenzen.

Zwar werden von den Lehrplänen bestimmte inhaltliche Standards gesetzt, doch wird gerade in der Kompetenzorientierung Wert darauf gelegt, dass die Lernenden sozialkompetent sein sollen sowie selbstorganisiert zu lernen haben. Damit ist aber auch zugleich eine grosse Akzeptanz für ständig wiederkehrende Ambivalenzen und Gegensätze gelegt. Die Lehrkräfte haben sich damit auseinanderzusetzen, das eine gegen das andere abzuwägen und eine Balance zu finden. - Heinz von Förster sprach:

"Aus der Idee des Konstruktivismus ergeben sich zwei Konsequenzen. Erstens die Toleranz für die Wirklichkeiten anderer - denn dann haben die Wirklichkeiten anderer genauso viel Berechtigung als meine eigene. Zweitens ein Gefühl der absoluten Verantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, dass ich meine eigene Wirklichkeit herstelle, bin ich für diese Wirklichkeit verantwortlich, kann ich sie nicht jemandem anderen in die Schuhe schieben."

Eine Lehrperson lebt ständig in der von Forster angesprochenen Welt vieler Wirklichkeiten, in welcher es gilt, eine Toleranz für diese Wirklichkeiten zu entwickeln und eine Akzeptanz von Polaritäten zu erzeugen. Der Lehrperson kommt dabei die Rolle des Moderators zu, welcher einen Ausgleich herzustellen versucht. Im Schulalltag mag dies eine Herausforderung darstellen, umso mehr als es auch darum geht Willkür zu vermeiden und einen Konsens herzustellen. Toleranz darf hier nicht der Unverbindlichkeit weichen; hier sind Argumente einzufordern. Aus Meinungen werden begründete Perspektiven; Balance darf nicht erkauft werden durch blinde Akzeptanz.



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