Freitag, 20. April 2012

Individuelle Förderung an Schulen



     

Paul Watzlawick sprach in seiner Anleitung zum Unglücklichsein:

"Die Prophezeiung des Ereignisses führt zum Ereignis der Prophezeiung."

Watzlawick drückt mit diesen Worten  aus, dass wir das, was wir sähen, auch ernten. Das Zitat macht aber auch schnell die Verantwortung deutlich, in die eine Lehrperson schlüpft. Sie ist in einer relativ machtvolleren Position durch ihr Vorwissen und durch die Autorität, welche ihr angetragen ist. Doch es gilt, dem Lernenden nicht durch vorgefertigtes Wissen seinen eigenen Erkenntnisprozess abzuschneiden. Die Lehrperson kann sodann schnell zum Propheten selbst erfüllender Prophezeiungen werden, wenn sie ihre Überzeugungen über jene des Lernenden stellt. Das "Aussergewöhnliche", welches im Schüler steckt, kann auf diesem Weg verlorengehen; es würde dem Durchschnitt weichen.

Ein Beispiel für individuelle Förderung ist das Elsa-Brändström Gymnasium in Oberhausen (Deutschland). Dazu der nachfolgende Videobeitrag:

"Individuelle Förderung: Individuelle Förderung als Schlüssel"


Der Lernende "wird da gefördert, wo er gerade steht" (Rektorin der Schule). Die Rektorin stellt voran, dass es bei 30 Schülern in der Klasse 30 Lernprozesse geben müsste. Sie verdeutlicht, dass die Umsetzung dieses Vorhabens illusorisch ist, dass es für eine Schule aber darum geht, dieser Illusion möglichst nahe zu kommen. In der Praxis werde dieses Streben wie folgt umgesetzt:
- Schüler bestimmen das Thema selber
- Schüler bestimmen die Zeit selber
- Schüler bestimmen die Lernform selbst
Eine Lehrperson ergänzt an der Stelle, indem sie sagt, dass es kein "Vorne beim Unterrichten" gäbe. Damit findet Lernen in gewisser Weise in der "Schwerelosigkeit" und losgelöst von einem geographischen Schwerpunkt statt; der Lernende kann sich somit frei im Raum bewegen, wobei er mit seinen Sinnen ungebunden ist und seine Aufmerksamkeit dorthin lenkt, wo seine Neugierde ihn gerade hinführt. Eine weitere Lehrerin ergänzt und bekundet, dass die Lehrerrolle umdefiniert werden müsse: Lehrpersonen schlüpfen in die Rolle von "Moderatoren des Lernens" und von "Lernberater". 

Individuelle Förderung an Schulen bedeute auch, dass das Kind sich selber bewertet. Das Kind sei - so die Rektorin des Elsa-Brändström Gymnasiums - verantwortlich für den eigenen Lernprozess und sei ein autonomer Lerner. Hinzu kommt die Aussage der Selbstbewertung durch den Lernenden: ein zu erledigendes Portfolio werde selbst bewertet und ein Tandempartner gibt zusätzlich seinen Kommentar dazu ab.

Ob die Zukunft in der Tat dieser Form des individuellen Lernens gehört bleibt abzuwarten. In der Tat müssten sich die Strukturen des Bildungssystems auftun und es müsste ein Konsens von Schulleitung, Elternvertretung und Politik hinter dieser Form des Unterrichtens zustande kommen. 

Zwei weitere Beispiele für eine Neuorganisation von Lernen und Schule finden sich in den nachfolgenden zwei Videobeiträgen. Sie propagieren "Selbstgesteuertes Lernen" als Ziel und Inhalt dieser Neuorganisation. Auf die Eingangsfrage an die Lehrpersonen, was ein guter Unterricht sei, antworteten sie:

- Lernen muss Spass machen
- Ein Praxisbezug muss vorhanden sein
- Die Schüler reflektieren ihr eigenes Handeln und das Handeln der anderen.
- Die Schüler wählen ihren Weg des Lernens, d.h. ihre Arbeitsweise und ihre Präsentationsformen
- Die Lehrer stehen nicht pausenlos im Mittelpunkt
- Die Lehrer sind Lernprozessbegleiter und Lernprozessorganisatoren
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"Lehren und Lernen für die Zukunft" (Evangelische Grundschule Mennighüffen-West)


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"Schulen, die gelingen" (Spreewaldschule in Berlin)

 


Samstag, 14. April 2012

Lehrplan 21


Bei "Lehrplan 21" handelt es sich um ein Projekt der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) mit dem Ziel eines gemeinsamen Lehrplans für die deutsch- und mehrsprachigen Kantone der Schweiz. Genauer wird das Projekt wie folgt umschrieben:
"Der Lehrplan 21 ist ein Projekt der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK). Seit Herbst 2010 wird für alle deutsch- und mehrsprachigen Kantone ein gemeinsamer Lehrplan für die Volksschule ausgearbeitet. Damit setzen die 21 Kantone den Artikel 62 der Bundesverfassung um, die Ziele der Schule zu harmonisieren. Voraussichtlich im Frühling 2014 wird der Lehrplan 21 von allen Deutschschweizer Erziehungsdirektorinnen und -direktoren zur Einführung in den Kantonen freigegeben. Anschliessend entscheidet jeder Kanton gemäss den eigenen Rechtsgrundlagen über die Einführung im Kanton."
 

Als weitere Ziele werden angegeben:
  • Umsetzung der Bundesverfassung Art. 62 (Schulwesen); insbesondere des Absatzes 4, welcher wie folgt aufgeführt ist: "4 Kommt auf dem Koordinationsweg keine Harmonisierung des Schulwesens im Bereich des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen und von deren Übergängen sowie der Anerkennung von Abschlüssen zustande, so erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften. [...] 6 Bei der Vorbereitung von Erlassen des Bundes, welche die Zuständigkeit der Kantone betreffen, kommt der Mitwirkung der Kantone besonderes Gewicht zu."
  • Erleichterung der Mobilität von Familien mit schulpflichtigen Kindern sowie von Lehrpersonen.
  • Allen Kantonen steht es frei den Lehrplan 21 einzuführen, gleichgültig ob sie dem HarmoS-Konkordat beigetreten sind oder nicht.
  • Sämtliche nationalen Bildungsziele werden dem Lehrplan 21 zugrunde gelegt.
  • Der Lehrplan 21 legt fest, was Schüler zu wissen und zu können haben.
  • Der Lehrplan 21 dient als Grundlage für die Koordination von Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen sowie der Lehrmittel.
  • Bei dem Lehrplan 21 handelt es sich um ein Produkt, welches gemeinsam von Lehrpersonen aus der Schulpraxis sowie Fachdidaktikern erarbeitet wird.
  • Durch den Lehrplan 21 wird es möglich, die in den Kantonen anstehenden Lehrplanarbeiten gemeinsam und kostengünstig zu anzugehen.

Prof. Dr. Rudolf Künzli referierte zu dem Thema "Lehrplan 21" und stellte dabei vier Kernaussagen voran:
  1. Lehrplan 21 sei ein Teil eines bildungspolitischen Programms zur Steuerung von Schulen. Er verdeutlicht, dass Volksschulen vom kantonalen zum nationalen Programm gehoben werden. Dabei gehe es nicht um eine inhaltliche Verbesserung des Lehrplans; vielmehr gehe es um die Verbesserung des Instruments Lehrplan als Steuerinstrument.
  2. Es handele sich um einen umfassenden Reformanspruch der Schulen.
  3. Kompetenzorientierung sei der pädagogisch-didaktische Kern.
  4. Definiert werde ein Bündnis von Verwaltung, Wissenschaft und Politik.







Mittwoch, 11. April 2012

"Die Gruppe - ein Entwicklungsprozess"

 

Renoldner et al. beschreiben in ihrem Beitrag "einfach systemisch" verschiedene Phasen im Entwicklungsprozess einer Gruppe. Sie machen dabei Ähnlichkeiten aus zwischen einer Arbeitssitzung und einer Unterrichtseinheit (S. 99). Sie beschreiben darin Möglichkeiten und Aufgaben der Lehrperson in den unterschiedlichen Gruppenphasen die Gruppe "zu unterstützen, zu strukturieren und anzuregen" (vgl. S. 99-100). Die anschliessende Ausführung fasst diese Phasen kurz zusammen und stellt die Verbindung her zum Kontext und Erfahrungsbereich der kaufmännischen Berufsfachschule. 

1) Die Autoren beschreiben eine Anfangsphase. Hier geht es für einen Pädagogen darum, einen sicheren Rahmen zu schaffen wie etwa die Sitzordnung, Verhaltensregeln, Normen während der Arbeit in der Gruppe. => Aus meinem Erfahrungsbereich gestaltet sich diese erste Phase umständlich und in der Praxis nicht durchführbar. Es gibt an meiner Schule eine klare Aufstellungsordnung der Bänke, welche zumindest nach der Doppellektion wieder in ihren Ausgangszustand zu bringen ist. Die Klassen wechseln nach jeder Doppellektion in ein anderes Klassenzimmer und es kommt eine neue hinein. Zu viel Zeit ginge verloren für das Umstellen der Bänke. Möglich ist allerdings, während der Gruppenphase, bis zu einem bestimmten Grade die Tische und Stühle vor dem Klassenzimmer zu nutzen und das "Klassenzimmer damit zu vergrössern".

2) In der anschliessenden Kooperationsphase gilt es, die Selbstorganisationskräfte wahr zu nehmen, den Frontalunterricht kurz zu halten und das Verhalten der Gruppenmitglieder mittels Aufgaben zu unterstützen. In der Zeit der Gruppenarbeit erfahre ich, dass die Gruppenmitglieder mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind. Ein Spagat tut sich auf, welcher durch die Heterogenität der Klasse bedingt ist. Bei lang ausgedehnten Gruppenarbeiten vergrössert sich der Zeitunterschied: die einen sind schon sehr weit, während die anderen ohne ein grösseres Coaching noch nicht so weit wären. - Möglich ist allerdings eine Orientierung am Engpass der Klasse. Dabei gilt es, sich auf ein weniger schnelles Vorwärtskommen in der Klasse einzustellen und stattdessen den schnelleren Lernenden mit Erweiterungs- und Vertiefungsaufgaben zu begegnen. Damit lassen sich Gruppenarbeitsphasen ohne grossen Leerlauf erzeugen. Eine zweite Alternative, welche hier eingesetzt werden kann, ist dass die Heimarbeit mit eingeplant werden kann und damit die Zeit ausserhalb der Schulstunde in die Kooperatinsphase aufgenommen werden kann. => Beispiel LernJobs, welche in der Klasse begonnen werden aber zu Hause beendet werden. 

3) Die Konfrontation folgt der Kooperationsphase. Der Inhalt dieser Phase besteht darin, die Konfliktparteien in einen Dialog miteinander zu bringen, und eine direkte Kommunikation zu ermöglichen. Es eignet sich im Kontext gut bei kleineren Arbeitspaketen an die Klasse oder beim Austausch der Ergebnisse aus den LernJobs von zu Hause möglich. In längeren Gruppenphasen leidet die Konfrontationsphase durch die Heterogenität in der Kooperationsphase. Wenn die Gruppen - bedingt durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Kooperationsphase unterschiedlich weit sind - erschwert sich dadurch ein gemeinsamer Einstieg in die Konfrontationsphase. 

 4) Phase der Integration: Die Bedingung ist, sich "unsichtbar" zu verhalten und neue Aufgabenstellungen zu moderieren. Diese Phase ist zum Grossteil davon abhängig, wie gross der Anklang und der Erfolg der vorhergehenden Phasen war. Bei anregenden Themen und bei rege verlaufenden Kooperations- und Konfrontationsphasen fällt diese Phase nicht schwer: die Lernenden sind beim Thema und lassen sich nur bedingt ablenken. Der Erfolg für diese Phase wird damit bereits in den Phasen zuvor gelegt. 

5) Die fünfte und letzte Phase verkörpert die Trennung und den Abschied. Eine Gruppe löst sich auf. Diese Phase wird als eine eher negative Phase beschrieben. Irritierend mag hier aus meinem Erfahrungsbereich erscheinen, dass die Gruppenphase auch ein offizielles Ende hat und eine Abgeschlossenheit aufweisen sollte. Erst danach können sich weitere Gruppenarbeiten anschliessen.  

Fazit: Die ersten vier Phasen lassen sich in den Wochen, in denen die Unternehmensplanspiele an der Berufsschule stattfinden, sehr gut umsetzen mit einem hohen Anteil an Motivation, welche die Lernenden bereits im Vorfeld mitbringen. Dabei handelt es sich um intensive Arbeiten in Gruppen, welche für je eine Woche ein imaginäres Unternehmen zu führen haben. Die Lernenden simulieren die Geschäftsleitung und stehen für ihre Entscheidungen ein. Hauptsächlich agieren die Teilnehmer in den Gruppen; nur zu gemeinsamen Zwischenberichten und Kurzinputs kommen sämtliche Teilnehmer zusammen. - Der enge Praxisbezug, der Wettbewerbsgedanke sowie das Erfüllen der Leistungsnachweise während der Woche, schweisst die Gruppenmitglieder zusammen und motiviert. Dann und wann tauchen soziale Konflikte in den Einzelgruppen auf, bei denen es genügte, wenn die Lernenden die Konflikte selbständig lösen (manchmal unter meiner Moderationsobhut durch die Lehrperson).

Literatur:
Christa Renoldner, Eva Scala, Reinhold Rabenstein: einfach systemisch. Ökotopia Verlag, Münster, 2007.