Mittwoch, 28. Dezember 2011

Qualität von Multiple-Choice-Fragen

Weshalb sollte eine Lehrperson auf Multiple-Choice-Fragen (MCF) zurückgreifen? Zumindest mag es schwer fallen sämtliche Lernziele der Bloomschen Taxonomie zu erfüllen. Doch sollte dies der Anspruch an Multiple-Choice-Fragen sein, sämtliche Lernziele abzudecken?  - Ich denke eher Nein. Vielmehr sollten Sie passgenau an den Stellen eingesetzt werden, an denen Sie ihre Stärken haben. - Aus einem Artikel der Leibniz Universität in Hannover (Deutschland) werden vier Lernziele aufgeführt, welche auf diesem Weg erfüllt werden können:
  • Reproduktion
  • Reorganisation
  • Transfer
  • Problemlösendes Denken
Peter Vontobel ergänzt hier und verweist darauf, dass "Denkprozesse höherer Ordnung" via MCF durchaus ausgelöst werden können, wenn er sagt:
"MCF sind nicht nur geeignet für die Überprüfung von Gedächtnisleistungen, sondern können auch Denkprozesse höherer Ordnung auslösen (z.B. Verstehen, Anwendung, Analyse, Synthese, Bewertung, vgl. Lernzieltaxonomie nach Bloom2). Eine im Stamm erfolgende Denkaufforderung löst beim Lernenden komplexere Denkprozesse
aus als eine reine Wissensabfrage."   Vgl. Peter Vontobel (27. Oktober 2003; Pädagogische Hochschule Zürich)

Elemente einer Multiple-Choice-Frage:

Vgl. Peter Vontobel (27. Oktober 2003; Pädagogische Hochschule Zürich)

Nun, wie sollten Multiple-Choice-Fragen gestaltet sein? Peter Vontobel (27. Oktober 2003; Pädagogische Hochschule Zürich) setzte sich mit der Frage nach einer effektiven und effizienten Ausgestaltung von Multiple-Choice-Fragen auseinander. Er formulierte Regeln, nach denen sie zu gestalten sind:

Regeln zur Gestaltung von Multiple-Choice-Fragen

" [...]

1. Der Stamm sollte eine genaue Umschreibung eines mit Bedeutungsgehalt ausgestatteten Problems darstellen [...].

2. Die Distraktoren (die falschen Alternativen) sollten plausibel sein. Plausibilität kann erreicht werden, indem die Aussagen vertraut, vernünftig, relevant erscheinen. Es darf nicht sein, dass offensichtlich eine oder mehrere Antworten nichts mit dem Thema zu tun haben.

3. Anzahl der Antwort-Alternativen: [...] Distraktoren: ab 3 – 4 Alternativen entsteht eine richtige Auswahl. Minimal können zwei Alternativen gewählt werden, z.B. auch als «Ja/Nein» oder «Richtig/falsch». Mehr als fünf Alternativen erscheinen mir zuviel [...]. Und: Es ist durchaus sinnvoll, die Anzahl der Alternativen zu variieren; dies vermindert eine Routinebildung.

4. Es ist besser, im Stamm eine Frage zu stellen, als einen Satz zu beginnen, der beendet werden muss. [...]

5. Die richtige Antwort sollte nicht länger sein als die falschen. Man neigt dazu, die richtige Antwort ausführlicher zu formulieren, damit sie den richtigen Sachverhalt präzise erfasst.

6. Die richtige Antwort darf nicht immer an der gleichen Stelle stehen! Unbewusste Lokalisierungstendenzen sollten entschärft werden, indem man bewusst auf allen Stellen in etwa die gleiche Anzahl richtiger Antworten platziert.

7. Es darf nur eine – und wirklich nur eine! – Antwort geben, die von Expertinnen und Experten als richtig bezeichnet würde! Es darf keine falsche Antwort geben, die auch noch «ein bisschen» richtig ist.   [...]"


Vontobel verweist in seinen Ausführungen darauf, dass die Lernenden bei der Lösung von MCF ein bestimmtes Verhaltensmuster an den Tag legen. Dieses Verhaltensmuster gilt es zu berücksichtigen und ist jeweils mit einer Gegenstrategie zu beantworten. Dabei zitiert er Dewey und seine "Faustregeln".

MCF-Gestaltung unter Berücksichtigung der Lösestrategien von Studierenden

" [...]

  • «Wähle die längste Antwort» - Gegenstrategie: Stelle sicher, dass die längste Antwort nur in etwa 25% der Fälle richtig ist (bei durchschnittlich 4 Antwort-Alternativen).
  • «Wähle immer die gleiche Antwortposition» - Gegenstrategie: Stelle sicher, dass die richtige Antwort auf alle Positionen verteilt ist, in zufälliger Abfolge.
  • «Wähle nie eine Antwort mit den Wörtern „immer“ und „nie“» - Gegenstrategie: Stelle sicher, dass Sätze mit den Wörtern «immer» und «nie» in einem Viertel der richtigen Antworten vorkommen (bei durchschnittlich 4 Antwort-Alternativen).
  • «Wenn zwei Antwort-Alternativen zwei gegensätzliche Positionen vertreten: Wähle eine von diesen und ignoriere die anderen Möglichkeiten» - Gegenstrategie: Offeriere manchmal Gegenpositionen, von denen keine richtig ist.
  • «Wenn du unsicher bist: rate» - Gegenstrategie: Vergrössere die Anzahl der Antwort-Alternativen.
  • «Wähle die wissenschaftlich klingende Antwort» - Gegenstrategie: Benutze auch eine wissenschaftlich klingende Sprache bei den Distraktoren.
  • «Wähle keine Antwort, die einfach oder offensichtlich erscheint» - Gegenstrategie: Manchmal soll auch die richtige Antwort einfach oder offensichtlich erscheinen.
  • «Wähle eine Antwort, die einen Begriff enthält, von dem du weisst, dass er zum Thema gehört»  - Gegenstrategie: Auch die falschen Antworten enthalten Begriffe zum Thema, aber in einem falschen Kontext.   [...]"

Fragestrategien

Je nach Lernziele und Lerninhalte lassen sich verschiedene Fragestrategien anwenden. Die Leibniz Universität in Hannover (Deutschland) zählt exemplarisch dazu drei Beispiele auf:
  • Abfragen von Voraussetzungen und Konsequenzen
  • Bilden von Analogien
  • Formulieren von kleine Fallstudie
Zur Abfrage von Voraussetzungen und Konsequenzen ist im Stamm eine gegebene Situation darzustellen und mit einer dazugehörenden Frage zu ergänzen. Die Lernenden sollen in eine Situation hineinversetzt werden, in der sie den richtigen Schluss zu ziehen haben. Die Leibniz Universität in Hannover (Deutschland) nennt führt dazu ein Beispiel auf:
"Der Proteinkomplex ATP-Synthease auf den Membranen von Mitochondrien versorgt die Zelle
mit dem universellen Energieträger ATP, wenn Sauerstoff vorhanden ist. Stellen Sie sich ein
Stoffwechselgift vor, das die Funktion der mitochondrialen ATP-Synthease spezifisch und
vollständig hemmt.
Welchen der folgenden Effekte würden Sie erwarten?
a) Der ph-Unterschied beiderseits der inneren Mitochondrienmembran nimmt ab.
b) Der ph-Unterschied beiderseits der inneren Mitochondrienmembran nimmt zu. (richtig)
c) Es gibt keine Veränderung im ph-Unterschied beiderseits der inneren Mitochondrienmembran.
d) Der Sauerstoffverbrauch an den Mitochondrienmembranen hört auf.
e) Die Atmungskette pumpt keine Protonen mehr aus der Matrix."
Bei der Bildung von Analogien kommt der Befragte in eine Situation, in der er Relationen erfassen muss. Beispiel:
"Zwei Begriffe A und B stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Gesucht ist ein
Begriff D, der zu einem Begriff C im gleichen Verhältnis steht wie B zu A.
Beispiel:
Ein Quadrat verhält sich zu einem Würfel wie ein Kreis zu:
a) einer Pyramide
b) einem Kegel
c) einer Kugel (richtig)" (vgl. Leibniz Universität in Hannover (Deutschland))
Die Idee daraus ist, ein Verständnis abzufragen. Wie stehen die Sachverhalte zueinander? - Wie stehen alternative Problem-Lösungsansätze zueinander?
Als eine weitere Strategie nennt die Leibniz Universität in Hannover (Deutschland) die Beschreibung und Kreation kleiner Fallbeispiele. Hier lassen sich in der Tat auch höhere Lernziel-Formen nach Bloom in die Tat umsetzen. Der besondere Vorteil liegt darin, dass als eine Einführung ein zentraler Fall beschrieben wird. Im Anschluss daran schliessen sich verscheidene Fragen an mit den jeweiligen alternativen Lösungsansätzen, welche Bezug auf den zu Beginn eröffneten Fall nehmen. Ein Fall kann so aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.

Vontobel thematisiert in seine Ausführungen das "Vorgehen beim Gestalten von MCF zu einem Thema". Grundsätzlich schlägt er vor, die MCF ohne Lehrbuch / Skript zu schreiben, um Fragen auszuschliessen, welche sich auf kleinste Details aus dem Text beziehen und den Lernenden das Lösen dieser Aufgabe erschwert wird bzw. sie sie nur lösen können, wenn sie über ein fotografisches Gedächtnis verfügen. Er stellt zugleich voran, dass das Schreiben von MCF darauf Rücksicht nimmt, dass Eindeutigkeit gewährleistet wird.


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